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Vor 20 Jahren: «Hitler-Tagebücher» stürzen den «Stern» in die Krise

Von Klaus Koch, dpa

Hamburg. Es sollte der größte Medienknüller der Nachkriegszeit werden und wurde der größte Reinfall des Magazins «Stern». Vor 20 Jahren schreckte die Redaktion des Blattes die Öffentlichkeit mit der Meldung auf, Adolf Hitlers geheime Tagebücher seien entdeckt worden. «Nach der Auswertung der Tagebücher muss die Biografie des Diktators und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden», verlautbarte der «Stern» am 22. April 1983.

Drei Tage später präsentierte die Chefredaktion in einer international besuchten Pressekonferenz etwa ein Dutzend von 60 gebundenen Kladden im DIN-A-4-Format mit Reichsadler, Kordel und Hakenkreuz. Für die Echtheit der mit schwarzer Tinte geschriebenen Aufzeichnungen konnte sich der «Stern» auf namhafte Historiker berufen, unter ihnen der britische Hitler-Experte Hugh Trevor-Roper.

Keine zwei Wochen später war der Spuk vorbei. Nach erneuten Untersuchungen des Bundesarchivs, des Bundeskriminalamts und des Bundesamtes für Materialprüfung lautete das einhellige Urteil: eine «grotesk oberflächliche Fälschung». Ganze Passagen waren aus einer längst veröffentlichten Sammlung von Hitler-Reden abgeschrieben. Einbände, Papier und Klebstoffe enthielten zum Teil Materialien, die vor 1955 gar nicht auf dem Markt waren.

Der «Stern» stoppte den bereits begonnenen Abdruck der «Tagebücher» und stürzte in eine Ansehens- und Auflagenkrise, von der er sich jahrelang nicht erholte. Der «Entdecker» der Bände, der Reporter Gerd Heidemann, konnte bei der Suche nach dem Fälscher zunächst wenig helfen. Er hatte die Hefte gegen viel Bargeld von einem Stuttgarter Militaria-Händler namens Konrad Kujau erhalten, der sie seinerseits aus einer dunklen Quelle bekommen haben wollte.

Insgesamt investierte der «Stern» 9,3 Millionen Mark (knapp 4,8 Millionen Euro) für die 60 Bände. Heidemann trug das Geld jeweils in Plastiktüten zu Kujau, der ihm mal einen, mal drei Bände übergab. Dass Kujau die Tagebücher selbst geschrieben hatte, dämmerte Heidemann damals nicht. Er fiel auf dessen Geschichte herein, die Bände seien in einem gegen Kriegsende in Sachsen abgestürzten Flugzeug gefunden worden.

Der inzwischen 71 Jahre alte Heidemann schilderte kürzlich der «Berliner Zeitung» das Geschehen von 1983 so: «Ich rief ihn in Stuttgart an oder er rief mich morgens in Hamburg an und sagte: Komm her, in übernehme heute Vormittag drei Tagebücher an der Autobahn ... Er rief mich also an und sagte: Bring mal Geld für drei Tagebücher mit. ... Aber er hatte nur eins dabei. ... Ich hab dann oft zu Kujau gesagt, ruf mich doch erst an, wenn du genau weißt, wie viele Tagebücher du hast. ... Ich hatte keine Lust, immer Hunderttausende Mark hin- und herzutransportieren. Manchmal hatte ich 900 000 Mark in einer Plastiktüte dabei, für drei, vier Bücher, aber Kujau hatte dann nur eins.»

Am Ende landeten sowohl der Fälscher Kujau als auch Heidemann, der sich bis heute als Opfer fühlt, vor Gericht. Kujau gab an, von den 9,3 nur 2,4 Millionen Mark erhalten zu haben, und wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Heidemann wurden sogar vier Jahre und acht Monate aufgebrummt, weil ihm das Gericht nicht glaubte, dass er die Millionen komplett an Kujau weitergereicht hatte.

Kujau blieb seinem Fälscher-Image auch nach der Haft treu: Er malte Kopien bekannter Gemälde von Künstlern wie Salvador Dali oder Marc Chagall und signierte sie mit dem Namen des echten Meisters und seinem eigenen. Die «echten Fälschungen» verkauften sich gut, und der Meisterfälscher betätigte sich auch als Galerist und Gastronom, bis er im Jahr 2000 im Alter von 62 Jahren an Krebs starb.

Heidemann ist noch heute verbittert und fühlt sich unfair behandelt. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen und hat nach eigener Aussage keine Ahnung, wo die verschwundenen «Stern»-Millionen geblieben sind. Noch immer liegen die meisten der 60 «Tagebücher» im Keller des Gruner+Jahr-Verlags in Hamburg - bis auf einige Bände, die im Museum ausgestellt werden, etwa im Haus der Geschichte in Bonn.

Ein echter Knüller wurde die Verfilmung der Tagebuch-Geschichte in Helmut Dietls Erfolgskomödie «Schtonk», die 1993 sogar für den Oscar nominiert wurde. Heidemann, der während der Dreharbeiten am Set war: «Ich habe Tränen gelacht über Götz George, der mich spielt in dem Film. So einen Typen hätte (der damalige "Stern"-Herausgeber) Henri Nannen schon nach drei Minuten gefeuert, so einen hätte der nie ertragen.»

(dpa), 24.04.2003