Herr Labro, bedauern Sie eigentlich, dass der „Prix Bayeux" in diesem Jahr so viel beachtet ist?
Philippe Labro: Nein, wieso sollte ich?
Weil der Grund ein trauriger ist. 2003 war ein gewalttätiges Jahr. Der Irak-Krieg hat den Blick auch auf den Kriegsjournalismus gelenkt.
Philippe Labro: Es ist wahr, dass der Irak-Krieg dieses Jahr alles dominiert hat. Acht von zehn Nominierten beschäftigten sich mit diesem Thema. Dabei gibt es, wie in jedem Jahr, auch andere, kaum beachtete Kriege. Die Situation im Kongo oder in Tschetschenien war zum Beispiel überhaupt kein Thema mehr. Aber das hat auch dazu geführt, dass Vielfalt und Qualität der Beiträge sehr hoch waren.
Es muss manchmal unerträglich gewesen sein, mit der Brutalität, dem Schrecken dieses Materials konfrontiert zu werden.
Philippe Labro: Das stimmt. Aber gleichzeitig ist mir diese Arbeit wichtig, weil sie die Erinnerung wachhält. Ich stelle immer wieder fest, mit welcher rasenden Geschwindigkeit wir mit immer neuen Informationen überhäuft werden. Und dementsprechend schnell vergessen wir auch wieder. Ich habe zum Beispiel dank der Fotos bestimmte Eindrücke, Gesichter, Gesten, Farben gesehen, die mir sonst niemals aufgefallen wären.
Gab es eine Arbeit, die Sie ganz besonders beeindruckt hat?
Philippe Labro: Da fällt mir als erstes ein Bild ein, das kein klassisches Kriegsbild ist. Es sind keine Soldaten darauf zu sehen, keine Gräueltaten. Ein britischer Fotograf hat dieses Foto gemacht. Vier oder fünf Frauen, alle schwarz gekleidet. Irakische Witwen, von denen man nichts sieht, kein Gesicht, nur diese schwarzen Formen. Und aus der Mitte dieses schwarzen Haufens heraus ragt eine Hand - die Hand eines Verletzten, eines Opfers. Das ist mehr ein Gemälde als ein Foto, es hat eine ungeheure ästhetische Prägnanz.
Wie kann man überhaupt objektiv feststellen, was guter Journalismus ist?
Philippe Labro: Der Begriff der Objektivität ist hier mit großer Vorsicht zu sehen. Der Reporter, der Fotograf bringt immer seine subjektive Sicht, seine Leidenschaft, seine Gefühle mit ein, manchmal sogar sehr vehement. Journalismus ist keine exakte Wissenschaft.
Eine gute Kriegsreportage oder ein gutes Kriegsfoto hat nicht zwangsläufig mit Blut und Brutalität zu tun?
Philippe Labro: Nicht unbedingt. Blut reicht niemals aus, um einen Krieg zu erklären. Ein gutes Kriegsfoto kann auch eines sein, auf dem nur ein weinendes Kind zu sehen ist, oder verzerrte Gesichter angesichts der Zerstörung. Das ist mehr als nur Hämoglobin.
Die Arbeit der Journalisten erschöpft sich niemals nur in der simplen Beschreibung des vergossenen Blutes. Plünderungen, Diebstahl, auch das gehört zu einem Krieg. Ein guter Kriegsreporter will an Ort und Stelle sein, um zu berichten, um Zeugnis abzulegen über das, was geschieht, und um die freie und demokratische Meinungsäußerung zu fördern. Besonders angesichts von Konflikten, in die totalitäre Regime verwickelt sind.
Was glauben Sie, ist die Motivation für einen Kriegsjournalisten, diese Arbeit zu machen?
Philippe Labro: Das hat in erster Linie mit Neugierde zu tun. Aber auch mit Leidenschaft und Berufung. Ein Kriegsberichterstatter will seine Zeit verstehen und begreifen, was auf der Welt passiert. Dafür begibt er sich direkt in die Mitte des Geschehens.
Es gibt Journalisten, die sehr weit, manchmal zu weit gehen.
Philippe Labro: Es gibt auch solche Leute. Aber nicht alle Journalisten, die Opfer eines Krieges werden, haben ihr Leben leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Es können immer Fehler und Unfälle passieren. Ich glaube nicht, dass ein Kriegsreporter die Gefahr sucht, weil ihn der Tod so fasziniert.
Kriegsjournalismus war immer gefährlich und schwierig. Hat der Krieg gegen den Terrorismus die Arbeit zusätzlich erschwert?
Philippe Labro: Das glaube ich nicht. Journalismus in Kriegszeiten ist immer schwierig. Eben weil es eine sehr subjektive Arbeit ist. Man kann immer nur ein Hundertstel des Gesamtbildes vermitteln. Was die Briten und Amerikaner „general picture" nennen, das Gesamtbild, das kann man niemals vollständig wiedergeben.
Sie selbst waren früher als Reporter in Kriegsregionen, Sie waren im Algerienkrieg und kurzzeitig auch in Vietnam. Sind Sie froh, heute in Paris zu arbeiten?
Philippe Labro: Ja. Ich glaube, es gibt nur ein Alter, um Kriegsberichterstatter zu sein: Das muss man machen, wenn man jung ist, das Risiko liebt und familiär nicht so gebunden ist. Wenn man Kinder hat, ist es nicht unbedingt die beste Entscheidung, als Reporter in ein Kriegsgebiet zu gehen.
06.11.2003
Quelle: ARTE TV MAGAZIN November 2003
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