Der Blick auf die Medien
medienspiegel
schlagzeilen
hintergrund
extra
meinung

lesen

anschauen

hören

anklicken
archiv
gästebuch
intern
impressum
kontakt
© medienspiegel
Alexander Gorkow: Kalbs Schweigen

Mit „Kalbs Schweigen“ ist Alexander Gorkow das Debüt als Romanautor unumstritten gelungen. Gorkow ist eigentlich Journalist der Süddeutschen Zeitung und zeigt in „Kalbs Schweigen“, dass auch ein Roman über das Schweigen mit Worten jonglieren kann. Leider drängt sich der erhobene Zeigefinger des Autors immer wieder auf. Denn die Fernsehbranche ist hier eine Zeitverschwendung, eine Farce, aus der sich der Protagonist Joseph Kalb in sein Schweigen flüchtet.

Kalb ist ein bekannter Fernseh- und Talkshowmoderator. Im Laufe seiner Karriere hat er tausenden Wörtern seine Stimme geliehen. Und mindestens ebenso vielen Wörtern hatte er seine Aufmerksamkeit geschenkt. Eines Tages scheint sein Kontingent an Gutmütigkeit, Small-Talk und journalistischem Interesse aufgebraucht. Und so verliert er während seiner Live-Sendung die Stimme. Zunächst sind nur Gäste und Senderegie in Aufregung. Später gesellen sich die Zuschauer vor den heimischen Bildschirmen sowie Kollegen Kalbs hinzu. Kameras, schreibende Journalisten und Fotografen lauern Kalb Tag und Nacht auf – in der Hoffnung, eine neue Schlagzeile und die Ursache des Stimmversagens zu finden.

Offenbar hat Kalb zu viele Wörter und Sätze in seinem Leben für Nichtigkeiten verschwendet. Am Tag, bevor sein Schweigegang beginnen sollte, kreisten seine Gedanken um Kleinigkeiten, wie das Elend der Stadttauben und die Parkplatzordnung vor seinem Studio. Mit seinem Schweigen scheint alle Anspannung von Kalb gefallen zu sein. Auch seine Frau hatte ihn noch nie so in sich ruhend gesehen. Der journalistische Rummel der Boulevard-Blätter interessiert ihn ebenso wenig wie die medizinischen Spezialisten, die in sein Innerstes blicken wollen. Nur die Momente mit seinen über alles geliebten Kindern kann er genießen – wenn auch schweigend.

Ohne ein Wort zu sagen, ohne irgendetwas Besonderes zu tun oder zu besitzen wird er zum Mittelpunkt eines Fernsehsenders, einer Medienlandschaft und seines kleinen Freundeskreises. Alexander Gorkow verstrickt im Verlaufe des Romans die Handlungsstränge ebenso wie die Leben von Kalb, dessen Arbeitskollegen und seiner Familie verschmelzen. Dabei verliert sich der Autor nicht in Nebensächlichkeiten, sondern scheint stattdessen zynische, ironische Elemente vorzuziehen. So tauchen beispielsweise immer wieder kleine Nachrichten oder Geschichten über Stadttauben auf, die einige Ähnlichkeit mit Kalb enthalten. Mal sind die Vögel hilflose, bemitleidenswerte Wesen, ein anderes Mal Ursache unerwünschter Ereignisse. Auch in den Namen der Protagonisten steckt Ironie, erwähnt sei nur der Name „Frohvogel“, der im Gegensatz zu den Stadttauben steht, die unglücklicherweise einfach vom Fensterbrett geweht werden und hilflos sterben.

Urteil: Sieht der Leser über den moralisch strengen, erhobenen Zeigefinger des Autors hinweg, ist der erste Roman Gorkows ein lesenswerter. Zynisch, stringent und mit einem zwinkernden Auge führt er den Leser durch den lakonischen Zustand eines Mannes, der mit dem Sprechen seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte. Besondere Kennzeichen: Die Details, die der Autor garantiert in jedem Kapitel unterbringt.

Anja Fischer, 21.05.2003

Alexander Gorkow: "Kalbs Schweigen"
Wilhelm Heyne Verlag, München 2003, 223 Seiten, 20 Euro, ISBN 3-453-86891-9.