Der Blick auf die Medien
medienspiegel
schlagzeilen
hintergrund
extra
meinung

lesen

anschauen

hören

anklicken
archiv
gästebuch
intern
impressum
kontakt
© medienspiegel
Erika Riemann: "Die Schleife an Stalins Bart"

"Jahrbuch 2004" aus dem Spiegel-Buchverlag

Ein Mädchenstreich, der Erika Riemann acht Lebensjahre stehlen wird: Als Vierzehnjährige malt sie auf einem Portrait Stalins eine kecke Schleife um den Schnauzbart. Wenig später wird sie von russischen Besatzern verhaftet. Am Anfang glaubt Erika noch an ein Versehen und daran, bald aus den widrigen Haftbedingungen entlassen zu werden. Doch die Tage in den schmutzigen Kellerzellen verstreichen. „Zehn Jahre Sibirien“ steht auf einem kleinen Zettel, den Erika schließlich nach zermürbenden Verhören unterschreiben muss - ihr Urteil.

Was folgt, klingt zunächst wie eine bloße Auflistung deutscher Haftanstalten. Einweisung in Torgau, Transport zum Frauengefängnis Bautzen und später in das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen, schließlich das Gefängnis Hoheneck. Doch hier handelt es sich nicht um ein Geschichtsbuch, sondern um das Leben der Erika Riemann.

Erika wird als Fünfzehnjährige verhaftet. In den folgenden 96 Monaten wird sie schikaniert, gedemütigt und muss als „Spielzeug“ der Wachen herhalten. Sie bekommt Tuberkulose, erträgt Tage ohne Nahrungsmittel und klirrende Kälte in engen Zellen. In einem Streit mit einem Wachposten verliert sie zwei Schneidezähne. Und Erika muss sich zwischen einer Blinddarmoperation ohne Narkose und dem Tod entscheiden.

All das überlebt sie. Nicht zuletzt ihre Freunde in den Lagern und die Unterstützung ihrer Familie erhalten sie am Leben. Denn auch das gibt es: Freundschaft unter den Gefangenen. Die Frauen teilen sich ihre Geburtstagsgeschenke (zwei Stück Würfelzucker!), Brotrationen und natürlich ihr Schicksal sowie Erinnerungen an ihr Zuhause. Die Umstände treiben die Frauen in tiefe Depressionen, Verzweiflung und nicht zuletzt Selbstmordversuche. Selbst das übersteht die junge Frau.

Als Erika Riemann am 18. Januar 1954 endlich entlassen wird, versteht sie die Welt nicht mehr. Kein Friseur legt ihr noch eine Wasserwelle. Die Dauerwelle ist jetzt Mode. Die von Erika geliebten Makostrümpfe wurden durch Perlonstrümpfe ersetzt. Naiv und unerfahren lässt sie sich auf zwei Ehen ein, die schließlich scheitern. Doch das Überleben hat Erika Riemann in den acht Jahren ihrer Haft gelernt. Auch nach den Gefangenenjahren kommt ihr das zugute.

Die Geschichte von Erika Riemann ist weder beneidenswert noch auf sorglose Art unterhaltsam. Dennoch ist sie eines unbestreitbar: lesenswert und interessant. Die inzwischen 73-Jährige vermag – mit Hilfe ihrer Ghostwriterin Claudia Hoffmann – ihre Geschichte und die vieler Leidensgenossen zu erzählen. Das Buch schafft keine einfache, leichte Zerstreuung. Aber es fesselt den Leser an jede einzelne Zeile.

(fan), 30.12.2003

Zum Lesen:
Erika Riemann: "Die Schleife an Stalins Bart"
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. 2002, 254 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-455-09377-9.