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Ulrich Wickert: "Finstere Gedankenwelten"

Ulrich Wickert hat ein Faible für Krimis. Bis er selbst zur Feder griff, bedurfte es nicht nur der Inspiration durch Raymond Chandler. Im ARTE Magazin erzählt er vom Reiz der Krimi-Stories.

Foto: Uwe Ernst


Seit Ewigkeiten lese ich Krimis zur Entspannung. Zu dieser Droge hat mich wohl Raymond Chandler verleitet, dessen Detektiv Philip Marlowe in all seinen Kriminalromanen die Hauptrolle spielt. Aber da Chandler nur wenige Bücher geschrieben hat, musste ich ausweichen auf jene, die zu seiner Zeit ähnlich schrieben, etwa Ross McDonald. Und dann war der Damm irgendwann gebrochen. Eric Ambler, Dick Francis, John McDonald, Rex Stout folgten. Viele dieser Autoren haben eines gemein: Ihre Geschichten spielen immer wieder in ähnlichen Situationen, die meisten lassen sogar immer wieder die gleiche Hauptperson agieren. Als ich noch studierte, lernte ich einen jungen britischen Diplomaten kennen, mit dem ich heute noch befreundet bin. Als John le Carre mit "A small town in Germany" einen erfolgreichen Politthriller schrieb, war eben dieser Freund überzeugt davon, dass wir das auch könnten. Gemeinsam wollten wir uns daran machen. Doch er wurde zurück nach London versetzt und schrieb unter dem Pseudonym Michael Sinclair Dutzende erfolgreicher Krimis. Und ich beneidete ihn. Irgendwann, so schwor ich mir, werde auch ich einen Krimi schreiben. Aber dazu benötigt man eine Geschichte. Und den Mut sie niederzuschreiben. Ich habe damit lange gezögert.

Doch als ich mich eines Tages bei einer Veranstaltung langweilte, schweiften die Gedanken ab und mir fiel ein Plot ein - er ist die Überraschung in meinem Krimi "Der Richter aus Paris" geworden. Weil ein Plot allein nicht reicht, begann ich nach einer Geschichte zu suchen, die ihn glaubwürdig machen würde. Ich fand sie in der französischen Wirklichkeit. Schließlich begann ich mir die Personen auszudenken. Zunächst sollte mein französischer Freund Jacques, ebenfalls ein Diplomat, als Vorbild für die Hauptfigur herhalten. Doch dann verleiteten mich die äußerst kritischen realen Untersuchungsrichter wie Eric Halphen, Renaud van Ruymbecke, Eva Joly und andere, eine entsprechende Person für solch einen "juge d'instruction" zu erfinden: den Untersuchungsrichter Jacques Ricou.

Als Journalist gewohnt zu recherchieren, habe ich viele tatsächliche Fakten zusammengetragen. Und daraus einen Fall konstruiert. Das Schöne am Schreiben eines Krimis ist ja, dass der Autor die Freiheit hat, zu erfinden, was er will. Bösewichter kann man entweichen lassen - oder ermorden. Was auch immer geschieht, der Herr über das Geschehen bleibt derjenige, der schreibt. Obwohl sich manchmal beim Schreiben selbst die eine oder andere Figur anders entwickelt als zunächst geplant. Aber das gehört zum Prozess der Entstehung. Denn auch ein Fall kann sich anders entwickeln als vorhergesehen. Bevor ich anfange zu schreiben, muss ich allerdings den roten Faden bis zu seinem Ende gesponnen haben. Als ich mit "Der Richter aus Paris" begann, wusste ich, wie das Buch ausgehen würde, wenn auch während des Schreibens die eine oder andere Person hinzutrat. Als ich mich nun hingesetzt habe, den Richter Jacques Ricou seinen zweiten Fall lösen zu lassen, musste ich wieder zunächst in der Wirklichkeit Fakten suchen, die den neuen roten Faden ergeben. Jetzt kann ich die zweite Krimi-Geschichte niederschreiben.

03.08.2004
Quelle: ARTE Magazin August 2004

Zum Lesen:
Ulrich Wickert: "Der Richter aus Paris"
Hoffmann und Campe, 2004. 256 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-455-09411-2.