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Kampf um Pressefreiheit Journalismus 2003: Riskante Tage für Berichterstatter

Von Mirko Zinn

42 Journalisten starben im vergangenen Jahr bei der Ausübung ihres Berufes. Das sind 17 Tote mehr als 2002. Allein 14 Reporter und Kameraleute kamen im Irak-Krieg ums Leben. Gefährliche Pflaster für Korrespondenten bleiben Russland, die Philippinen und Kuba. Europa gilt als vorbildlicher Unterstützer der Pressefreiheit – weit vor den USA.

Das ergibt zumindest die jüngst veröffentlichte Jahresbilanz von Reporter ohne Grenzen (ROG). Die statistischen Zahlen der global agierenden Journalistenorganisation, mit einem Netzwerk von rund 130 Korrespondenten, sind erschreckend: 1460 gewalttätige Übergriffe, Bedrohungen und Entführungen, 766 Festnahmen und Verhöre, 501 zensierte oder gar verbotene Medien – das sind 28 Prozent mehr als im Vorjahr. 124 Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis, weltweit, davon 14 ohne offizielle Anklage. Kuba verurteilte 27 unabhängige Medienmacher zu Haftstrafen zwischen 14 und 27 Jahren. Den Reportern werfen die Schergen von Staatschef Fidel Castro vor, im Ausland Artikel veröffentlicht zu haben, die angeblich imperialistische Interessen bedienten.

Damit zählt die sozialistische Heimat des international berühmten Buena Vista Social Club „zum derzeit größten Gefängnis für Journalisten“, titelt ROG warnend in ihrem Bericht. Auf der Liste der wegsperrfreudigen Länder von politisch Andersdenkenden stehen weiterhin Iran, Birma (Südostasien) und Eritrea (Afrika). „Diese Regierungen schließen seit Jahren Regimekritiker weg mit dem Ziel, eine demokratische Entwicklung zu verhindern“, notieren die Protagonisten von ROG in ihrer Bilanz weiter. Sogar Russland ist darin gelistet: Erstmalig seit 1991 verurteilten Richter einen Journalisten zu mehreren Monaten Arbeitslager – wegen Diffamierung der Politik in Bezug auf den Tschetschenien-Konflikt.

Filmarbeiten im Kosovo: Nicht ohne Gefahr und vor dem Hintergrund von Einschusslöchern.
Riskante Dreharbeiten im Kosovo - im Hintergrund sind noch Einschusslöcher erkennbar.
Foto: Bundeswehr / Niels Bach


Russische Freundschaften

Für Wladimir Putin dürfte dieses Urteil wahrhaft keine Referenz für Russland sein. Versucht der Präsident doch fieberhaft, das Land auf Standart West zu trimmen. Kein leichter Job – bei derartiger Rechtsauffassung seiner Justizbehörden. Selbst die von Putin wieder belebten, altneuen Freundschaften mit Kuba oder Nordkorea werden seine Ziele, nämlich keine weltpolitische Randfigur spielen zu müssen, nicht wirklich umsetzen können. Gerade diese Länder sind für das russische Staatsoberhaupt mit Sicherheit keine guten Berater, was demokratische oder pressefreiheitliche Reformen angehen.

Es bleibt also abzuwarten, wie schnell sich des Kremlchefs Wünsche nach internationaler Beachtung realisieren lassen. Zwar existiere in der ehemaligen Sowjetunion – im Gegensatz zu Kuba oder Nordkorea – eine unabhängige Presse, dennoch herrsche eine alarmierende Zensur, was außenpolitische Themen betrifft, sagen mehrere Berichterstatter aus. Auch schleppen sich Ermittlungen. Besonders, wenn Journalisten die Opfer sind. Beispiel: Ali Astamirow. Der AFP-Korrespondent wurde am 4. Juli 2003 von Unbekannten entführt. Trotz weltweiter Proteste, mit Forderungen zur Aufklärung des Verbrechens, fehlt von dem Reporter bis heute jede Spur. „Wir müssen noch viel mehr öffentlichen Druck auf die Verantwortlichen ausüben“, mahnt Elke Schäfter, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von ROG. Weiter sagt sie: „Das Recht auf freie Information muss weltweit eine Chance erhalten“.

Schwarzes Jahr für Amerika

Ebenso müssen die Vereinigten Staaten herbe Kritiken von den grenzenlosen Reportern einstecken. In dem aktuellen Bulletin schneiden die Amerikaner schlechter ab als ein Jahr zuvor. Schäfters Team erläutert, das liege an den Einschränkungen der Pressefreiheit bei militärischen Einsätzen außerhalb amerikanischer Landesgrenzen. Sprich: Irak-Krieg.

Nach Ansicht der 1985 in Frankreich gegründeten Journalistenorganisation trage die US-Army Verantwortung am Tod von mindestens fünf Korrespondenten. Beispiel: Terry Lloyd. Der britische Star-Reporter von ITN wurde am 23. März 2003 bei Basra aus Versehen von Alliierten erschossen. Oder: Taras Protsyuk und José Couso. Die beiden Kriegsfotografen von Reuters wurden am 8. April 2003 im Bagdader Hotel Palestine getötet, weil die Besatzung eines amerikanischen Panzers die Objektive ihrer Kameras für die irakischer Aufklärer hielt. Oder: Tarek Ayoub. Der Reporter des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira berichtete vom Dach des Senderbüros in Bagdad. Plötzlich feuerte ein US-Hubschrauber Raketen ab. Ayoub überlebte nicht.

Einsatz für die weltweite Pressefreiheit: Reporter ohne Grenzen (ROG)
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen setzt sich weltweit für Pressefreiheit ein.
Grafik: Reporter ohne Grenzen / Ponke Grabo

Andere Länder, andere Sitten

Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen hat in ihrer jüngsten Jahresbilanz 164 Länder bewertet und nach ihrer Situation der Pressefreiheit geordnet. Hinter dem von George Bush regierten Land der unbegrenzten Möglichkeiten rangiert im kleinen Abstand Israel. Der vom Machtkampf mit Palästina gezeichnete Staat belegt, unter Führung Ariel Scharons, den undankbaren Platz 146. Als Grund nennt ROG die unzähligen Übergriffe gegen Journalisten in den israelisch besetzten Gebieten. Bewaffnete Konflikte sind allerdings nicht alleinige Risiken für Berichterstatter. Bei Recherchen von Korruption, Bestechung oder der organisierten Kriminalität wurden auf den Philippinen sieben Reporter getötet. Auch in Kolumbien mussten vier Medienmacher sterben – sie gerieten ins Visier von Mafia, Drogenkartellen oder Milizen.

Mit insgesamt 42 Toten avanciert 2003 zum tödlichsten Jahr für Journalisten seit 1995. Damals starben 49, allein 22 im algerischen Bürgerkrieg. Einen neuen Höchststand – mit 501 Fällen – erreichte die Anzahl der Medien, die zensiert oder gar mit Erscheinungsverbot belegt wurden. Prominente Exempel: In Spanien schlossen die Behörden die Basken-Zeitung Euskaidunon Egunkaria, in Simbabwe (Afrika) schafften die Administratoren die einzige unabhängige Tageszeitung (Daily News) ab.

Wieder andere Regierungen ersticken die Entstehung einer unabhängigen Presse bereits im Keim – alle denkbaren Themen müssen autorisiert werden. Dazu gehören Saudi-Arabien (Platz 156), Syrien (155), Usbekistan (154) oder Libyen (153). Traurige Schlusslichter im Ranking der insgesamt 164 Länder sind unter anderem Nordkorea, Kuba, China, Vietnam und Iran. Allein acht der zehn untersten Plätze belegen asiatische Staaten. Deutschland ist Achter, Großbritannien landet auf Platz 27.

Kriegsberichterstattung war noch nie ein sicherer Job, hier Jay Tuck (re.) und Kameramann Jörn Schulz im ersten Golfkrieg
Noch nie war Kriegsberichterstattung ein sicherer Job. Hier im Bild: Kameramann Jörn Schulz (links) und Jay Tuck, Chef vom Dienst bei den Tagesthemen, während des ersten Golfkrieges.
Bild: NDR

Europas Glanzrolle

Die von ROG erstellte Liste führen – wie im Vorjahr – vier europäische Länder an: Finnland, Island, Norwegen und die Niederlande. „Diese Staaten respektieren die Pressefreiheit gewissenhaft“, sagt Schäfter. Die EU-Anwärter Litauen, Estland und Lettland kämpften sich unter die ersten Zwanzig. Italien dagegen rutschte auf Platz 53 ab. „Silvio Berlusconi hat sich Pressegesetze nach Maß schneidern lassen, trotz des Interessenkonflikts, den er als italienischer Ministerpräsident und gleichzeitig Eigentümer eines Medienimperiums haben müsste“, stellt die Journalistenorganisation ihr Urteil klar.

Wie aber sieht die Pressefreiheit gegenwärtig in osteuropäischen Regionen, speziell auf dem Balkan aus? Verlässliche Zahlen und Fakten liegen selbst ROG nicht vor. Einige Antworten, zumindest für den Kosovo, finden sich in Esat Ahmetis Recherche-Ergebnissen. Der 31-jährige Journalist arbeitet seit 1998 für die albanische Redaktion der Deutschen Welle. Die Presselandschaft im Kosovo beobachtet er mit Argusaugen. Seine Beiträge bestätigen die schwierige Entwicklung der Pressefreiheit – solange Faktoren wie soziale Unsicherheit, hohe Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Korruption, sowie die Frage nach dem politischen Status dominieren. Ebenso prangert er die mangelnde Ausbildung für Journalisten an.

Ahmeti veröffentlicht aber auch positive, richtungweisende Aspekte: Bereits am 16. September 2002 entstand die Asociacioni i gazetareve profesioniste te Kosoves (AGPK), eine Organisation von Berufsjournalisten. Vorsitzender des Verbands mit derzeit 354 Mitgliedern ist Baton Haxhiu. Der Ex-Chefredakteur der Tageszeitung Koha Ditore begründet, wodurch seiner Meinung nach die Pressefreiheit im Kosovo erheblich gestört wird: „Verleger, die Beziehungen zu Institutionen oder der Wirtschaft unterhalten, nehmen große Rücksicht auf ihre Themen. Da bleibt unparteiisches Arbeiten oft auf der Strecke. Zudem gibt es im Kosovo eine Art Mentalitäts-Zensur. Wir leben in einem engen Umfeld, wo jeder jeden kennt. Daher zögern wir noch, gesellschaftliche Probleme anzupacken“.

Deutliche Worte, die ebenso die Gründerin von RTV 21, Aferdita Kelmendi, an ihre Kollegen verliert. Sie ist seit 25 Jahren im Journalismus tätig und sammelte Erfahrungen bei Voice of America und der BBC. Kelmendi: „Ein Journalist muss seinen Beruf lieben. Nur so kann er professionell arbeiten. Jeder darf Vorurteile haben, nur haben die in objektiven Publikationen absolut nichts zu suchen.“


Der Artikel erschien im Kosovo-Magazin "Dritarja" der Vereinten Nationen,
Februar 2004.

Linktipps:

Das weltweite Ranking der Pressefreiheit von der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen für das Jahr 2003 ist auf der ROG-Homepage zu finden: www.reporter-ohne-grenzen.de. Unter gleicher Adresse: der Jahresbilanz von ROG.

Listen der im vergangenen Jahr getöteten Journalisten und Medienmitarbeiter gibt es ebenfalls auf den Seiten von Reporter ohne Grenzen.

Christian Liebig kam im Irak-Krieg 2003 ums Leben. Nun gibt es eine Stiftung, die seine Ideale fortführt: www.christian-liebig-stiftung.de.

Mehr zur Berichterstattung während des Krieges direkt auf www.medienspiegel.org: "Deutsche Journalisten an der Front"